
Chaos und Stille
Jean ist Komponist, seine Frau Helena Pianistin. Von ihrer Musik können sie nicht leben und schon gar nicht ihre Tochter ernähren. Bis ihre Vermieterin Klara ihnen die Miete erlässt, ihren Job kündigt und fortan auf dem Hausdach lebt. Ein radikaler Schritt, der sich als Katalysator für Jeans Kreativität und Helenas soziales Engagement erweist.
Schon bald wird das Haus zum lebendigen Epizentrum einer sich auf die ganze Stadt ausweitenden Sinnsuche. Doch während die Diskussionen über den Sinn des Lebens lauter werden, zieht sich Klara immer weiter in sich selbst zurück – bis sie eine wundersame Lösung für das nicht enden wollende Chaos entdeckt.
Anatol Schuster gibt kaum Erklärungen, sondern er verlässt sich weitgehend darauf, dass sein Publikum willens und in der Lage ist, den Film zu interpretieren. Dafür liefert er eine Fülle von assoziativen Bildern. Warum Klara sich entscheidet aufs Dach zu ziehen, bleibt unklar. Klara hat Geld und einen gut bezahlten Job. Warum gibt sie alles auf?
CHAOS UND STILLE spielt mit den philosophischen Thesen, die dahinterstehen könnten. Jedoch liegt ein großer Reiz des Films gerade in der Fülle unterschiedlicher Deutungsansätze, für die es in homöopathischen Dosierungen Hinweise gibt. Da geht es eindeutig um Kapitalismuskritik – aber hinter Klaras Verhalten steht auch der Wunsch nach Freiheit, und Anatol Schuster zeigt mit offener Ironie, dass Freiheit nur möglich ist, wenn man sie sich leisten kann. Klara ist irgendwann frei, hat aber kein Ziel. Oder ist das die eigentliche Freiheit? Die beiden Künstler haben zwar ihren Idealismus und ihre Musik, aber sonst ziemlich wenig.
„Das einzige, was uns überlebt, ist die Musik“, sagt Jean. Und als ein Kind dann fragt: „Wer spielt die Musik, wenn keine Menschen mehr da sind?“, fällt ihm keine Antwort ein. Das hat etwas von „Des Kaisers neue Kleider“: Nur das unschuldige Kind wagt es, die Wahrheit auszusprechen.
Deutschland 2024; Regie: AnatolvSchuster;
mit Sabine Timoteo, Anton von Lucke, Maria Spanring, Michael Wittenborn, Eric Lenke;
Länge: 83 Min.; FSK 12