
Leonie und der Weg nach oben – Filmgespräch mit Sigrid Klausmann
Wenn die Tochter über die Mutter einen Film dreht, ist die Gefahr groß, dass es ein Fall fürs Familienalbum wird. Nicht so, wenn die Tochter Dokumentarfilmerin ist und Sigrid Klausmann heißt (…). Da sind sogar Kinoprofis angefasst:
„Ich habe nicht nur einmal geweint heute im Kino, sondern mehrmals. Das hat mich sehr berührt, weil dieser Film es schafft, ein sehr privater Film zu sein und auf der anderen Seite eine ganz allgemeine, universelle Aussage zu haben. Und er ist auch ein sehr schöner Film. Der muss ins Kino, ganz einfach.“
So Dieter Kosslick, der frühere Leiter der Berlinale, über den Film LEONIE UND DER WEG NACH OBEN. (KONTEXT Wochenzeitung)
Die über 90-jährige Leonie erzählt ihrer Tochter, der Filmemacherin Sigrid Klausmann, die Geschichte ihres Lebens und die ihrer einmaligen und einzigen großen Liebe: Das behütete Aufwachsen im Schwarzwald, frühe Indoktrinierung durch die Nazis, Verlieben inmitten der Hungerzeit, Armut, Verzicht, Leben im Dienst der Familie, Begeisterung für Gesang und Tanz – und dann, plötzlich und unerwartet, stirbt die große Liebe.
Obwohl es von Jahr zu Jahr schwerer für sie wird, geht Leonie jeden Tag den Berg hinauf bis zu der Kehre, von der sie hinübersehen kann zum Friedhof und zu seinem Grab. Und oft hat sie ihm etwas zu sagen.
Wie kann ein Leben weiter gehen, wenn nach 64 Jahren plötzlich Schluss ist mit dem langen, gemeinsamen Leben?
Trotz der anhaltenden Trauer, dem „Heimweh“ nach ihrem Mann, findet Leonie in ihren Alltag zurück. Die einst gemeinsamen Rituale helfen ihr dabei: Den täglichen Tanz in der Küche tanzt sie nun allein, beim Backgammonspiel würfelt sie auch für den „Babbe“, der ihr aus dem Bilderrahmen zuschaut. Kein Tag vergeht ohne ein Gespräch mit ihm, über die Stadt hinweg, zum Grab hin.
Auch wenn die große Kinderschar nicht mehr mit am Tisch sitzt, so sind sie und die vielen Enkel doch ihre Motivation, weiterzuleben. Der Blick zurück ins Leben wird lebendig durch eine Vielzahl von Fotos, von denen die meisten aus dem Archiv von Leonies Vater stammen, der im Nebenberuf Fotograf war. Briefe lassen Kriegs- und Hungerjahre lebendig werden.
Nach einer schweren gesundheitlichen Krise geht Leonie, zusammen mit einer Pflegerin, in den Endspurt ihres Lebens, weiterhin den Weg nach oben.
Deutschland 2022; Regie: Sigrid Klausmann; Länge: 67 Min.
Sigrid Klausmann, geboren in Furtwangen im Schwarzwald, ist als drittes von sieben Kindern, wie sie selbst sagt, in einem zwar materiell armen, aber toleranten Elternhaus aufgewachsen.
Diese Kindheit sei der Grundstein für ihre Aktivitäten als Erwachsene und das große Interesse für Kunst und Kinder gewesen. Zunächst arbeitete sie als Sport- und Gymnastiklehrerin, war Lehrerin für Modern Dance und choreographierte und inszenierte u.a. abendfüllende Stücke wie „Die Räuber von Kardemomme“ oder „Unterwegs“ – ein Projekt mit 19 Kindern und 19 Koffern. Sie arbeitet seit 2003 als Dokumentarfilmerin und gründete gemeinsam mit ihrem Mann Walter Sittler die Produktionsfirma Schneegans Productions. Seit 2010 ist sie die leitende Regisseurin der Filmreihe „199 KLEINE HELD*INNEN“ und seit 2015 Schirmherrin des Kinderschutzbundes Stuttgart.